Der Mansfeld kommtErinnerungen an Krieg und FriedenAutor: Helmut Bollmann
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Der Hochstapler"Drei Panzer im Anmarsch", meldete ein Obergefreiter. Bolle wollte gerade zurückfahren. Jetzt war es zu spät, er konnte nicht kneifen. Trotz seines Alkoholspiegels - er hatte schon ein Gläschen zu viel getrunken, vielleicht auch zwei - war ihm verdammt mulmig zumute. Das hatte so kurz vor Toresschluss gerade noch gefehlt. "Mal sehn, ob wir hier noch rauskommen." Er schwang sich mit seinen Krücken zum Ortseingang und blieb dort mitten auf der Straße stehen. Diese Amis hatten keine Angst mehr, auf einzelnen Mann, noch dazu auf Krücken, würden die nicht schießen. Der erste Panzer hielt an, die Turmluke ging auf: "Are you crazy? Give way." Bolle schüttelte den Kopf. Der Mann im Turm schaute sich misstrauisch nach allen Seiten um. Ein Feigling war das nicht, er kletterte vom Panzer und kam auf Bolle zu. Nicht einmal eine Pistole hatte er in der Hand; das war kein typischer Ami, aber es war zweifellos ein Captain der US-Army. Vom Alkohol beflügelt erläuterte ihm Bolle gestenreich die Lage: dort standen Kanonen, die hatten seine drei Panzer im Visier. Sie hatten Befehl sich bei Anbruch der Dunkelheit abzusetzen, das würden sie jetzt nicht mehr können. Die Alliierten würden den Krieg gewinnen, aber das würden sie beide nicht mehr erleben und seine Leute in den Panzern auch nicht. Er solle doch eine Marschpause einlegen, in einer Stunde würde es dunkel werden, spätestens in anderthalb Stunden. Der Captain dachte nach, dann ging er zu seinem Funkgerät im Panzer. "Okay", sagte er bei der Rückkehr, "two hours. You are a nice guy. Write me a letter after the war. That's my address." Bolle steckt die Karte ein, grüßte zackig mit Hand am Feldmützenschirm. Die "Hand an der Mütze" findet hier Erwähnung, weil diese bei allen Heeren der Welt übliche Grußform nach dem Attentat auf den "Führer" verboten wurde. Seitdem hatte auch jeder Wehrmachtsangehörige den Arm zum "Hitlergruß" hochzureißen. - "Wenn ich das nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, ich würd's nicht glauben", sagte der Oberfeldwebel, noch immer völlig verblüfft. "Was jetzt?" - "Die Amis treten zwei Stunden auf der Stelle", teilte ihm Bolle mit, "aber protzt nicht auf, bevor es wirklich dunkel ist. Wenn dieser Ami-Hauptmann eure kümmerlichen Vierlinge sieht, hält der mich womöglich noch für einen Hochstapler." Dem "General" meldete er, die Flak-Batterie gehe auf einem der Berge vor Wippra in Stellung, wo sie wenigstens etwas gegen die Tiefflieger ausrichten könnten, was ja auch ihr eigentliche Aufgabe sei. Um die Straße durch das bergige Waldgelände wenigstens zeitweilig zu sperren, müsse er von Pionieren ein mittleres Erdbeben auslösen oder viele, viele Minen legen lassen. "Wo soll ich Pioniere, wo soll ich Minen hernehmen?" fragt der Beamtengeneral. Bolle zuckte mit den Achseln. Er wusste es auch nicht. Am nächsten Morgen beunruhigten leichte Geschütze Wippra mit gelegentlichem Streufeuer. Eine der Granaten krepierte neben der Baracke am Hang. Die Zwangsarbeiter flüchteten in den bereits überfüllten Krankenhauskeller, was ihnen niemand verdenken konnte. - Schorschel deutete auf seinen Kleiderschrank: "Zuerst musst Du aus der Uniform raus. Such dir aus, was Du willst." Bolle blickte ihm spöttisch in die Augen: "Ist das dein Ernst?" Der Doktor guckte verlegen auf seinen Bauch. So ging das nicht. Selbst wenn die Klamotten wie angegossen gepasst hätten, Bolle konnte sich nur mit seinem Soldbuch ausweisen, sein Pass lag daheim im Nachtschrank. Soldbuch aber hieß unweigerlich Kriegsgefangenschaft. - Ein Ortswechsel schien geboten. |
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