Der Mansfeld kommtErinnerungen an Krieg und FriedenAutor: Helmut Bollmann
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Die AmisIm April rückten die Amerikaner an. Der Vater war als alter Feldwebel des ersten Weltkrieges zum Führer des örtlichen Volkssturms ernannt worden. Der Vater lachte: "Wird gemacht, verlass dich drauf. Und pass auf meine Hütte dort auf." Es war kaum zu glauben, aber das "Wipperlieschen" fuhr tatsächlich noch, obwohl es schon zweimal von Tieffliegern angegriffen worden war und ein paar Einschusslöcher aufwies. In Wippra stauten sich Fahrzeugkolonnen aller Waffengattungen vor der schmalen Wipperbrücke. Angeblich standen die Amis schon in Nordhausen. Bolle nahm den steilen Fußweg hinauf zum Krankenhaus. Mit den Krücken war er jetzt schneller als jeder Fußgänger. Seine Frau hatte die Isolierstation wieder verlassen können, war aber bei dem Kind geblieben, das der Schorsch inzwischen mit Möhrensaft weitgehend kuriert hatte, aber noch im Auge behalten wollte. Am Hang unterhalb des Krankenhauses stand das Gartenhaus des Vaters - Wohnzimmer mit Kochnische, Schlafzimmer, Toilette - in dem er während seiner dienstlichen Aufenthalte in Wippra zu arbeiten und zu schlafen pflegte. Daneben war eine Baracke für lungenkranke Zwangsarbeiter errichtet worden. Die Kranken waren noch da, die Wachmannschaft hatte sich aus dem Staub gemacht. In dieses Gartenhaus zog Bolle mit seiner Frau auf Wunsch des Vaters ein, der tatsächlich glaubte, er könne sein geliebtes Häuschen auf diese Weise vor Plünderung durch aufsässige Zwangsarbeiter bewahren. Die Amerikaner rückten unaufhaltsam näher. Sie hatten Sangerhausen erreicht, dort zweigte die Straße über Grillenberg nach Wippra ab. Es wurde wieder einmal brenzlig. Wenn die da unten im Tal Widerstand leisteten, und alle Anzeichen sprachen dafür, dann kam er zu guter Letzt doch noch einmal in den Schlamassel. Oben im Krankenhaus hatte Schorschel vorsichtshalber bereits alle Patienten in die Keller bringen lassen. Bolle schickte seine Frau auch dorthin und stieg ins Tal, um die Lage zu erkunden. Was hatten die vor? Das Kommando führte, man glaubt es kaum, ein Wehrmachtsbeamter(!) im Generalsrang. Bolle ließ sich beim ihm melden. "Ein Panzerjäger?" sagte der Durchhaltegeneral, "Sie kommen mir gerade recht. Pak habe ich nicht mehr, aber dort vorn in Grillenberg liegt eine Batterie Vierlingsflak. Tun Sie mir einen Gefallen und schauen Sie nach, ob die so in Stellung gegangen sind, dass sie auch Panzer bekämpfen können." Der Mann war offensichtlich noch nicht lange im Geschäft. "Vierlinge können das nicht, Herr General. Wenn die auf Panzer schießen, sind sie auch schon hin." - "Bitte fahren Sie trotzdem und sagen Sie mir dann, wie ich die Straße mit anderen Mitteln sperren kann. Ich habe strikten Befehl, im Unterharz stehen zu bleiben. Der Wagen draußen bringt Sie in den Ort." Das war die reinste Idiotie, einerseits. Andererseits lagen hier SS-Haufen rum, die hingen jeden an den Baum, der auch nur den Anschein erweckte, sich drücken zu wollen. Vor denen hatte wohl auch der "General" die Hosen voll. So eine Scheiße. Bolle ließ sich nach Grillenberg bringen. Der Batteriegefechtsstand befand sich im Gasthof an der Dorfstraße. Hier hatte er schon als siebenjähriger auf den Sonntagswanderungen mit den Eltern immer Rast gemacht, bevor es weiter zum Forellenessen nach Wippra und dann mit dem "Wipperlieschen" wieder nach Hause ging. Batterieführer war ein alter Hase von Oberfeldwebel; die Offiziere waren alle gefallen oder verwundet. Von einst zwölf hatte er noch ganze drei Vierlinge, dafür aber einen großen Kognakvorrat aus Frankreich. Der Krieg war längst verloren, das bedurfte keiner Worte, aber in Kriegsgefangenschaft wollte auch keiner, wenigstens nicht freiwillig. Er selbst und die meisten seiner Männer stammten aus dem Braunschweigeschen. Der Feind würde den Harz umgehen und an die Elbe weiterziehen, so lauteten ihre Überlegungen. Sie hatten sich eine Chance auf Heimkehr ausgerechnet, wenn auch nur eine kleine |
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