Der Mansfeld kommtErinnerungen an Krieg und FriedenAutor: Helmut Bollmann
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Der NahkampfBeim nächsten Mal machten die Amis Ernst und stießen ohne Artillerievorbereitung rechts der Straße in breiter Front über Hecken und Wiesen vor. Mehr als 30 Panzer überrollten die deutsche Hauptkampflinie. Bolle hätte keinen ungünstigeren Zeitpunkt für den Besuch einiger MG-Trupps seiner Kompanie wählen können, die in die vorderste Front eingegliedert waren. Er befand sich mitten auf einer von Hecken umsäumten Weide und hechtete schleunigst in ein Schützenloch, als sich der Panzer mit Brachialgewalt über den niedrigen Erdwall wälzte. Zu spät, das Ungeheuer vom Typ Sherman, groß wie ein Scheunentor, fuhr mit ratterndem Maschinengewehr schnurstracks auf ihn zu. Das Ende vom Lied kannte er: der Koloss würde sich über dem Loch einmal um seine eigene Achse drehen und das war's dann gewesen. Tod und Beerdigung fanden zur gleichen Zeit statt. Für einen Augenblick durchfuhr ihn ein Blitzstrahl lähmenden Entsetzens. Niemals, in seinem ganzen Leben noch nicht, war ein Ortswechsel so dringend geboten. Jetzt nur keine Panik. Es kam auf Bruchteile von Sekunden an, aber es war zu schaffen, andere hatten es auch schon geschafft. Als er im toten Winkel des MGs war und der Panzer bremste, um das grausame Spiel zu vollenden, flitzte er wie ein Wiesel aus dem Loch, umlief diese Bestie, sprang ihr von hinten ins Genick, entsicherte die Handgranate, zählte langsam 21, 22, 23, hob dabei die Turmklappe spaltenbreit an und ließ den Sprengkörper fallen. Beim Abspringen hörte er einen dumpfen Knall, die Turmklappe schlug mit Getöse auf. Der Sherman war nur noch ein ungefährliches Wrack - und Bolle hatte unversehens das am rechten Oberarm zu tragende, allseits hoch respektierte Panzervernichtungsabzeichen erworben, aus reinem Selbsterhaltungstrieb und mit viel Schiss in der Hose - gezwungenermassen sozusagen. Für die "Ofenrohre" gab es Schutzschilde, die eine Gasmaske beim Abfeuern überflüssig machten, und diese Schutzschilde gab es in Rennes. Bolle durfte sie abholen und ein paar seiner besten Männer mitnehmen. Er durfte für die Fahrt sogar den einzigen Schwimmwagen der Abteilung wählen; den flotten Hirsch hatte längst der Teufel in Gestalt eines Tieffliegers geholt. "Bring ihn, um Himmels willen heil wieder", mahnte der Kommandeur beim Abschied von seinem Lieblingsspielzeug.
Auf der nächtlichen Rückfahrt wurde Bolle mit seinem Schwimmwagen in einer zur Front rollenden Panzerkolonne eingekeilt, vor sich einen "Tiger", hinter sich einen "Tiger". An Überholen war überhaupt nicht zu denken. Nur Stop-and-go-; alles ohne Licht. Sein Fahrer fuhr dicht auf den vor ihnen haltenden Panzer auf. Bolle drehte sich um und schaute besorgt auf das nachfolgende Ungetüm. Die Fahrerluke war zwar geöffnet, aber bei dieser Finsternis sah der Mann am Steuer bestimmt nicht viel, schon gar nicht den flachen Schwimmwagen unmittelbar vor sich. Er war weitgehend auf die Anweisungen des Kommandanten angewiesen, der, mit Kopfhörer und Kehlkopfmikrofon ausgerüstet, in der offenen Turmluke stand. Der musste sie längst gesehen haben, der Schwimmwagen zockelte schon ein ganze Weile vor ihm her. Na, endlich. Der Panzer kroch nur noch im Schneckentempo heran - aber er kroch. Alles spielte sich in Zeitlupe ab. Es knirschte gräulich, der Schwimmwagen faltete sich auf und wurde langsam wie eine Ziehharmonika zusammengequetscht. Zeit genug zum Abspringen. Bolle enterte den Panzerturm in Sekundenschnelle und brüllte wütend in ein völlig verdattertes Gesicht: Wo haben Sie ihre Augen, Sie Schlafmütze? Wer hat Sie unfähigen Blindgänger zum Kommandanten gemacht? Sie haben grob fahrlässig Wehrmachtseigentum zerstört. Fahren Sie mit einem Kinderwagen spazieren. Diese gottverdammte Blechbüchse haben Sie jedenfalls nicht im Griff! Doch was nützte der Wutausbruch? Den Oberfeldwebel hatte ein Sekundenschlaf übermannt, gestand er zerknirscht. Gewiss, das kam vor, aber warum gerade in diesem Augenblick? Letzten Endes schlecht gelaufen, dieser Ausflug nach Rennes! |
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