Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

<- voriges Kapitel

nächstes Kapitel ->

Der Störenfried

   Einziger Unruhestifter in dieser winterlichen Idylle war eine Batterie englischer Feldartillerie, die auch zu den Versorgungsmärsche in der Dunkelheit zwang. Sie hatte sich im Bergdorf am Gegenhang einquartiert, ihre vier Geschütze standen, großspurig ungetarnt, am Ortsrand und waren bei klarer Sicht mit bloßem Auge zu erkennen. Die Burschen kleckerten oder klotzten den ganzen Tag in der Landschaft herum, machten selten eine Teepause und hielten nur kurzen Mittagsschlaf. Sie leisteten sich sogar einen Luftbeobachter, dessen Mühle ausdauernd zwischen den Gipfeln kreiste und das Feuer oft auf die Baustelle hinten an der Straße leitete.

   Zwischendurch deckten sie Pizzoferrato mit einem Granathagel ein, dann wieder Gamberale. Vor diesen Kerlen war kein Mensch seines Lebens sicher, es sei denn, man hockte in der Kellerbar oder hatte anderweitig ein solides Dach über dem Kopf. Selbst eine harmlose Abfahrt am wunderschönen Skihang direkt oberhalb des Hotels machten sie zu einem Spiel mit dem Tod. Am Heiligen Abend unterstanden sie sich, mit einem Granathagel den Weihnachtsbaum zu vernichten, der mit Hilfe einer Autobatterie auf dem Hausberg milden Lichterglanz verbreitete.

Die Geschütze waren ein Ärgernis erster Güte.

   Das dachte auch der Pionierleutnant, der sich freudig mit zwei Flammenwerfertrupps an der von Bolle geplanten Vernichtungsaktion beteiligte. Der Chef war einverstanden. "Bring Plumppudding mit", sagte er am Telefon.

   Engländer bescheren erst am Weihnachtsmorgen, und diesmal sollte es eine wirklich schöne Bescherung werden. Der Pionieroffizier lotste den 24 Mann starken Stoßtrupp sicher durch das Minenfeld im Tal, das er mit seinen Leuten selbst gelegt hatte. Der Gebirgsbach wurde an einer flachen Stelle neben der ebenfalls raffiniert verminten Bücke überquert, dann ging es bergauf, bergauf, bergauf, langsam und mit größter Vorsicht - stundenlang.

   Aus dem zweiten Haus an der Straße schimmerte Licht. Der Posten davor, der sich hörbar die Füße warmtrat, wurde schnell und lautlos überwältigt. Wie Geister huschten in Schneehemden gekleideten Gestalten durchs Dorf. Hier und da verschwand  eine auf einen geflüsterten Befehl hin in einem dunklen Winkel, die übrigen eilten weiter zum anderen Ortsausgang.

   Bei den Kanonen kam es zu einem kurzen Schusswechsel; die dortige Wache hatte sich nicht überraschen lassen und feuerte ohne Anruf. Als Minuten später die Sprengladungen in den Rohren detonierten, wurde es im Dorf wirklich unruhig. Die ersten, nur mit Hemd und Hose bekleideten Engländer stürzten mit schnell aufgerafften Waffen aus den Türen und liefen den Männern in den Häuserwinkeln direkt vor die Maschinenpistolen. Dann drehten die Flammenwerfer auf und verwandelten die heillose Verwirrung in totales Chaos.

Die Gestalten in den Schneehemden verschwanden, so schnell, wie sie gekommen waren. Nicht ein einziges Gespenst blieb zurück.

   Nach der Silvesterfeier in Gamberale, bei der sogar ein paar Champagnerkorken knallten und endlich kein Dreck mehr von der Decke rieselte, durfte Bolle, sozusagen als Belohnung, am Neujahrsmorgen nach L'Aquila fahren, um dort Haftminen abzuholen. Haftminen zur Panzernahbekämpfung wurden im Augenblick so dringend gebraucht wie ein Kropf, aber L'Aquila war eine Tagesreise wert. "Das musst du gesehen haben, bevor die das auch noch zerbomben", meinte der Chef. "Vor allem die Basilika mit ihrer Goldfassade. Die Festungsmauern hat im 13. Jahrhundert Karl von Anjou gebaut, der, der den armen Konradin in Neapel hat köpfen lassen."  -

   Bolle trat das Beiwagenkrad an und machte sich auf den Weg. Hinter Popoli verlief die Straße auf einer Hochebene kilometerweit schnurgerade. Über Nacht war eine Menge Schnee gefallen, jetzt strahlte die Sonne und beschien eine grandiose Szenerie: Wie auf einer Perlenkette aufgereiht standen Dutzende von ausgebrannten Fahrzeugen auf der Straße. Feindliche Tiefflieger hatten seit dem Morgengrauen ein Scheibenschießen veranstaltet, ihre Ziele steckten hilflos und unbeweglich in hochaufgetürmten Schneewehen.  -

   Bald nach der Rückkehr von seiner Bildungsreise wurde Bolle auf dem Eselspfad von einem Tiefflieger kalt erwischt. Seit die Artillerie nicht mehr schoss, wurde der Steig auch tagsüber begangen, ein bodenloser Leichtsinn, wie sich jetzt zeigte. Es war ein glatter Oberschenkeldurchschuss, der Knochen blieb unverletzt.

Ja, es war der ideale Heimatschuss, sein vierter übrigens

   

<- voriges Kapitel

nächstes Kapitel ->