Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

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Winter im Gebirge

   Nach heftigen Abwehrgefechten am Sangro ging es erneut hoch in die Berge, dorthin, wo angeblich noch Wölfe durch die Gegend schnürten. Der Kompaniegefechtsstand wurde in Gamberale eingerichtet, Bolles Zug marschierte weiter in den bekannten Höhenluftkurort Pizzoferrato und ging am südlichen Ortseingang in Stellung. Er selbst bezog die Kellerbar des feinen Kur- und Sporthotels, die ausreichend Schutz gegen Artilleriebeschuss versprach, aber keine Getränke mehr zu bieten hatte - die Regale waren restlos leergeräumt. Dafür war ein Panoramafenster in die Felswand eingelassen, das einen grandiosen Ausblick auf die alpine Landschaft bot.

   In Pizzoferrato saß Bolle bald in einer Falle, aus der ihm selbst sein Kettenkrad nicht mehr heraushelfen konnte. Hinter dem nördlichen Ortsausgang war nicht nur eine gewaltige Lawine niedergegangen, nein, der ganze Berg war gerutscht. Die Räumungsarbeiten konnten Wochen dauern - und sie dauerten Wochen.

   Der gesamte Nachschub musste aus dem benachbarten Gamberale über einen Eselspfad herbeigeschafft werden, der sich am steilen Felshang entlangschlängelte. Der Steig  konnte auf seiner ganzen Länge vom Feind eingesehen werden, tagsüber durfte sich auf diesem Präsentierteller nicht einmal eine Gams blicken lassen. Also musste die Mauleselkolonne in der Dunkelheit losziehen; in einer Nacht ging es hin, in der nächsten zurück. Die Front war im Frost erstarrt, mit Angriffen nicht zu rechnen. Bolle hatte Langeweile, also ging er öfters mit.

   Der Chef hauste mit dem Kompanietrupp in einem schäbigen Kellerloch, ein reines Nichts gegen die Kellerbar in Pizzoferrato. Der Dreck rieselte schon von Decke und Wänden, als eine Granate in 100 Meter Entfernung einschlug. "Du wirst noch ein Weilchen hier bleiben müssen", griente der "Alte" und wedelte sich den Staub von der Schulter, "unter einer halben Stunde tun die es nie."

   Sie hatten schon viel zu lange Skat gespielt. Es war verdammt spät und der Weg nach Pizzoferrato weit. Links ragte die Felswand steil empor, rechts gähnte der Abgrund. Die Maulesel waren trittsicher, aber störrisch. Hin und wieder setzte sich einer auf die Hinterbacken und ließ sich nur schwer zum Aufstehen bewegen.  Vor der gefürchteten, schmalsten Stelle des Steiges verweigerte der Vorderste den Gehorsam und hielt die gesamte Kolonne auf. Er musste in einer für alle Beteiligten lebensgefährlichen Aktion von seiner Last befreit werden und machte selbst dann noch keine Anstalten, sich vom Fleck zu rühren.

   Die Zeit verstrich, der Morgen graute, die Lage wurde kritisch. Vom Ende der Kolonne näherte sich der Betreuer der Herde. "Erschießen kann ich das alte Mistvieh immer noch", meinte der im Umgang mit Tragtieren vertraute Unteroffizier aus Südtirol, kletterte an der Felswand über das Hindernis und - biss es in die Nase. Der Esel bockte auf.  Wie von der Tarantel gestochen stürmte er dem heimatlichen Stall zu; der Unteroffizier entging nur um Haaresbreite dem Sturz in die Tiefe.

   

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