Der Mansfeld kommtErinnerungen an Krieg und FriedenAutor: Helmut Bollmann
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Der Hund Vierzehn Tage später konnte Bolle seinen "Etzel" abholen. Er verpäppelte ihn mit Rindsgehackten, rohen Eiern und anderen Leckerbissen, so dass der Bursche prächtig wuchs und gedieh, sich schnell einlebte und bald von Haus und Hof Besitz ergriff. Seine Beißerchen schärfte Etzel an einem jungen Kirschbaum, der die Schälkur nicht vertrug und bald darauf einging. Einmal kam er dem Foxterrier eines Nachbarn in die Quere, der eigentlich immer eingesperrt war, weil er - vom Briefträger bis zur Katze - alles biss, was ihm gerade so vor die Zähne kam. Gelegentlich gelang es ihm aber doch, durch die versehentlich offengelassen Gartentür zu entschlüpfen und die Nachbarschaft zu terrorisieren. Bolle glückte es nur mit Hilfe eines dicken Knüppels, Etzels junges Leben zu retten. Sein Hund hat diese Attacke nie vergessen. Jedes Mal wenn "Lumpi" irgendwo bellte, richtete er sich drohen auf und knurrte grimmig. Jahre später, bei der zweiten Begegnung, packte er den Terrier beim Genick und schüttelte ihn vor den Augen von dessen hilflosem Frauchen solange, bis dem Erzfeind die Sinne schwanden. Er fiel in Ohnmacht, hatte außer einer dicken Geschwulst im Genick jedoch keinen Kratzer davongetragen. Wenn Etzel seinerseits künftig einmal bellte, so berichtete der Nachbar, verkroch sich "Lumpi" angstschlotternd in die äußerste Ecke. Das kam indes nicht häufig vor. Etzel bellte selten, er war "Der große Schweiger". Als Etzel sechs Monate alt war, fuhr Bolle mit ihm Sonntag für Sonntag zum Hundedressurplatz des Boxerklubs in Rüsselsheim und ließ ihn zum Schutzhund ausbilden. Etzel war ein vorbildlicher Schüler und schaffte innerhalb eines halben Jahres spielend die Schutzhundprüfungen.
Nur den Eichbaumweg vor dem Grundstück durfte kein großer, unangeleinter Hund passieren. Wenn so ein Streuner um die Ecke bog, dann schlugen die beiden Hunde des andern Nachbar - "Mucki", der Dackel und Silva, eine junge Bernhardinerhündin von der Seiseralm - mit wütendem Gebell Alarm. Dann erhob sich Etzel gelassen auf der Terrasse, stolzierte majestätisch zum Gartentor und stellte sich demonstrativ auf die Straße. Das genügte vollauf, um den Streuner zur Umkehr zu bewegen. - Im Dorf kannten sich alle. Etzel konnte sehr wohl Recht von Unrecht unterschieden. Auch "Mucki" durfte nicht aufs Grundstück kommen. Tat er es doch, packte Etzel ihn im Nacken, trug ihn zum Zaun und schob ihn drunterdurch auf die Straße. Als er dem gleichen Hund aber einmal heimlich einen Knochen stibitzte und von "Mucki" dabei ertappt wurde, ergriff er vor dem wütenden Kläffer wie vom Teufel gehetzt die Flucht und flehte an der Terrassentür winselnd um Einlass. Von den Rehen im Kleefeld hinterm Haus nahm Etzel bei seinem Morgenspaziergang keine Notiz. Auch die kannten ihn, hoben nur mal die Köpfe und schädigten den Bauern in aller Ruhe weiter. Katzen scheuchte er vom Grundstück und jagte sie auf den nächsten Baum. Dann kehrte er zufrieden um. Sinnlos am Stamm hochzuspringen, war seine Sache nicht. Wirklichen Schaden hat er nie angerichtet. Nur einmal, als ein neuer Bier-Mann Etzels Haltegebot missachtete, musste die Versicherung zahlen. Kratzer am Leib konnte der Mann nicht vorweisen, aber er hatte natürlich seinen besten Anzug angehabt und verlangte 900 Mark Schadensersatz. Doch das war Sache der Versicherer. Nur die zerbrochenen Bierflaschen gingen auf Bolles Rechnung. Nach getaner Pflicht setzte er sich neben den Mann auf die Terrasse, passte scharf auf, dass der sich nicht entfernte und wartete geduldig auf die Heimkehr seines Herrn. Auch der Schornsteinfeger war unverletzt, zog eine alte Hose von Bolle an und trollte sich. Nur ein einziges Mal floss Blut, und zwar Etzels eigenes. Nach einer dreitägigen Brautschau in Langenhain kam er völlig abgemagert mit einer klaffenden Risswunde in seinem breiten Buckel nach Hause, die der Tierarzt unter Narkose mit vielen Stichen nähen musste. Da musste er sich mit einem ganzen Rudel Rivalen eingelassen haben. Bolle wollte gar nicht wissen, wie die anderen wohl aussahen. Unvergessen für alle Beteiligten bleibt auch die Geschichte, die an den sprichwörtlichen Elefanten im Porzellanladen denken lässt: Bolle betrat, den Hund an der Leine, die leere Gaststube des Gasthof "Zum Taunus". "Hermann ist deine Katze da?" fragte er vorsichtshalber den Wirt hinter der Theke. Der sah sich um: "Nein, du kannst den Etzel ruhig losmachen." Die Katze war doch da. Sie schlief hinter dem Ofen. Wie Hunde das so an sich haben, schnüffelte Etzel in allen Ecken herum und fing sich, am Ofen angekommen, einen äußerst schmerzhaften Krallenhieb über die Nase ein. Jetzt war die Kacke am Dampfen. Die Katze schoss in die Küche, sprang dort auf den Tisch und suchte schließlich auf dem großen Tellerbord an der Wand Schutz vor dem Verfolger. Aber was ist schon ein Tellerbord über einem Tisch für einen erbosten Boxer? Es klirrte und schepperte so laut, dass die Wirtin aus ihrem Mittagsschlaf aufschreckte. Als sie die Polterabend-Küche sah, verstummte die ansonsten wortgewaltige Köchin kreidebleich. Die Katze hatte sich durchs offene Fenster auf ein Dach im Hof gerettet. Etzel saß brav bei Fuß neben seinem Herrchen an der Theke. Bolle kippte hastig einen Kognak, der Wirt auch. Ins Ausland wollte Bolle seinen Etzel nicht mitnehmen. Wenn Fernreisen auf dem Programm standen, brachte er ihn stets in einer sehr schönen Tierpension in Schlossborn im Taunus unter. Dort hatte Etzel es sehr gut. Er vertrug sich mit allen andern Pensionsgästen, brauchte nie eingesperrt werden und durfte schließlich sogar die Nächte im Schlafzimmer der Pensionswirtin verbringen. Beim ersten Aufenthalt, als er das noch nicht wusste, sann er gleich nach Bolles Abfahrt auf Flucht. In der Nacht buddelte er einen Tunnel unter den ins Erdreich eingelassenen Drahtzaun und machte sich davon. Die Spur ließ sich tatsächlich verfolgen, zuerst war Etzel nach Osten gelaufen und in der Nähe von Königstein gesichtet worden. Dann schlug er die Richtung Süden ein und erreichte bei Höchst die Autobahn. An dieser Autobahn wandte er ich nach Westen und wurde schließlich mit blutenden Pfoten an der Tankstelle Weilbach-Nord in Sichtweite von Diedenbergen von einem Autofahrer nach Wiesbaden mitgenommen und im Tierheim abgegeben. Dort holte ihn die Pensionswirtin zwei Stunden später erleichtert ab. Er war volle vier Tage unterwegs gewesen und nur noch Schatten seiner selbst. Viel, viel später hörte er nicht mehr gut und wurde im Alter von 13 Jahren beim Überqueren der Straße nach Langenhain von einem Auto erfasst, erlitt dabei eine nicht mal sichtbare Kopfverletzung und war auf der Stelle tot. |
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