Der Mansfeld kommtErinnerungen an Krieg und FriedenAutor: Helmut Bollmann
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Der RedakteurDer Verleger war gern und oft unterwegs, doch manchmal hielt er sich natürlich auch in Eschwege auf. Bolle jedenfalls hatte ausreichend Gelegenheit, sich das Handwerk von der Pike auf anzueignen-. Er lernte, dass Cicero nicht nur ein römischer Staatsmann war, sondern auch ein Schriftgrad ist, und eine Matrize kein Tippfehler in der Matratze. Antiqua, Fraktur und Kursiv wurden ihm ebenso geläufig wie das Skizzieren eines Umbruchspiegels, an dem der Metteur stets seine Freude hatte. Er berichtete über Veranstaltungen der politischen Parteien, über Sitzungen des Stadtparlaments, über Versammlungen der Vereine und über Strafprozesse vor dem Amtsgericht. Er schrieb zahllose Reportagen und Filmkritiken, speziell diese oft sehr gewunden formuliert, um die örtlichen Kinobesitzer, die ja sehr gute Anzeigenkunden waren, mit einem ehrlichen Verriss nicht unnötig auf die Palme zu bringen. Einmal in der Woche war die Reihe an ihm, in der täglichen Rubrik "Muss das sein?" örtliche Missstände zu geißeln. Manchmal zeigten diese Artikel Wirkung, viel öfter aber führten sie zu heftigen Disputen mit dem verärgerten Bürgermeister und den übrigen Herren von der Stadtverwaltung. Das "Wächtersamt der Presse" war ein undankbares Geschäft. - Mit dem Vertrieb der "Werra-Rundschau" hatte die Redaktion eigentlich nichts tun. Doch sie war nicht immer schuldlos, wenn sich jeden Tag um 15.55 Uhr für den Vertriebs- und Anzeigenleiter die bange Frage stellte: Wird die Zeitung rechtzeitig fertig? Erreichen wir die Züge noch? Erwischen wir die Omnibusse - oder wirft der politische Redakteur wieder einmal mit einer wichtigen Meldung, die er unbedingt noch auf die erste Seite haben will, den ganzen Fahrplan über den Haufen? Präzise musste ein Rädchen in das andere greifen, um die pünktliche Zustellung der "Werra-Rundschau" zu gewährleisten. Die kleinste Verzögerung konnte zum Verhängnis werden. Dann blieb dem Vertriebsleiter nichts weiter übrig, als alle greifbaren Fahrzeuge von Redaktion und Druckerei einzusetzen, denn die Zeitung musste - so oder so - ihren Bestimmungsort erreichen. In einem solchen Fall musste auch Bolle in die Bresche springen. Er übernahm eine der Vertriebsrouten und brachte die Zeitungsbündel zu den örtlichen Austrägern, ganz wie es sich ergab, in die Dörfer am Meißner, auf dem Ringgau, oder im Werratal. - In dieser Zeit zog Bolle um. Die Wohnung in einem Vierfamilienhaus ziemlich weit draußen in der Niederhoner Straße bestand aus zwei Zimmern, Küche und - Bad. Wenn das kein Fortschritt war! Auf der Frankfurter Automobilausstellung kaufte ihm der Chef von der Stelle weg eine italienische Lambretta mit Beiwagen als Dienstfahrzeug. Außerdem erhielt er eine stattliche Gehaltserhöhung. Sein Glück war komplett! Zu Bolles neuen Obliegenheiten gehörte nunmehr auch die Kommentierung des Weltgeschehens, wobei er seine Aufmerksamkeit insbesondere den Vorgängen in der Ostzone widmete. Der Sender RIAS verlas einige dieser Artikel in seiner Sendung "Pressestimmen", was Bolle eine Einladung des amerikanischen Außenministeriums zu einem sechswöchigen Besuch der Vereinigten Staaten eintrug. |
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