Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

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Der Iwan 

   Der erste Russe kam zu Pferde, hinter ihm eine endlose Reihe von schwerbeladenen Panjewagen. Plötzlich flatterten wieder die weißen Fahnen, und neben ihnen zahllose rote. Wo hatten die Leute bloß das viele rote Tuch hergenommen? Einige mussten wohl ihre Inletts zerschnitten haben, andere hatten, deutlich sichtbar, das schwarze Hakenkreuz samt weißem Grund aus ihren roten Fahnen herausgetrennt.

Die Mutter ließ sämtliche Rollläden herunter und erklärte kategorisch: "Ich hänge keine Fahne raus!" Aber das hatte ja auch niemand von ihr verlangt.   

   Die Russen hockten müde auf ihren Wagen, einige liefen daneben her, manche waren offensichtlich betrunken. Ein solcher Betrunkener stieß die Gartentür auf und klopfte hartnäckig an die verschlossene Haustür. Bolles Frau hielt sich in einer Dachkammer versteckt, die hineinführende Kriechtür war von einem Schrank verdeckt.

   Bolle saß neben dem Windfang in der Wohndiele, den Gummiknüppel des Vaters, den mit dem Bleikern, hatte er zwischen die Sitzpolster des Sofas geschoben, - es durfte auf keinen Fall Lärm geben. Die Mutter öffnete die Tür, der Mongole torkelte herein und ließ sich in einen Sessel fallen. Dann hob er die Becherhand zum Mund, er hatte Durst. Die Mutter holte ein Glas Wasser, er trank es in einem Zug aus und hielt ihr das leere Glas wieder hin. Die Mutter verschwand erneut in der Küche, der Russe schaute sich misstrauisch in der dämmrigen Diele um, dann schweifte sein Blick zurück zu Bolle, der ihn schweigend anstarrte. Er fühlte sich sichtlich unbehaglich. Als die Mutter wiederkam, trank er aus, erhob sich ächzend und ging. Das leere Glas nahm er mit. -

   Wenige Tage später mussten sie ausziehen, die Villa war als Quartier für den Kreiskommandanten auserkoren. Das Haus hinter der Kirche war bis unter die Dachsparren voll belegt. Die Mutter kam bei einer guten Bekannten unter. Bolles Frau und seiner Schwiegermutter, die inzwischen mit ihrem 14jährigen Sohn aus Brünn eingetroffen war, wurden zwei kleine, hintereinander liegende Dachkammern über dem Saal im "Preußischen Hof" zugewiesen. Er selbst saß im Gefängnis des Mansfelder Amtsgerichtes in einer Einzelzelle.

Wie das?

Nun: Während des Umzuges standen zwei, durch rote Armbinden als Hilfspolizisten gekennzeichnete stadtbekannte Faulenzer vor der Gartentür und achteten im Auftrag des neuen Bürgermeisters darauf, dass die bisherigen Bewohner nur das Allernötigste mitnahmen. Inzwischen reichte die Mutter  alles ihr wertvoll Erscheinende hinter dem Haus dem Nachbarn über den Gartenzaun und ließ sogar die Gardinen des Wohnzimmers mitgehen.

   Bolle musste auf Anweisung des Bürgermeisters im Haus bleiben, um es dem Herrn Kreiskommandanten höchstpersönlich zu übergeben. Der Oberstleutnant hatte eine uniformierte Ärztin im Gefolge, die ihm unter anderem als Dolmetscherin diente. Die Räumlichkeiten fanden Gnade vor seinen Augen, aber das gardinenlose Wohnzimmer missfiel ihm. Sichtlich gereizt ließ er Bolle nach dem Verbleib der Vorhänge fragen. Der war selbst überrascht und sagte beruhigend: "Aber regen Sie sich doch nicht so auf. Zu Hause in Russland haben Sie doch auch keine."

   Wahrheit, Wahrheit her - so spricht man nicht mit einem glorreichen Sieger, und Bolle hätte das besser nicht sagen sollen. Der Russe riss die Pistole heraus, fuchtelte ihm damit vor der Nase rum und wollte ihn auf der Stelle erschießen. Dann überlegte er es sich anders. Vermutlich wollte er den Teppich nicht versauen, den die Mutter aufgrund ihrer geringen Körperkräfte nicht auch noch hatte mitnehmen können. Bolle wurde festgenommen und in eine Zelle des Amtsgerichtsgefängnisses gesperrt. (Bild)

   

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