Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

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Der Hinterhalt

   Viel Zeit blieb nicht. Als die Alliierten am 6. Juni 1944 in der Normandie landeten, war die Abteilung noch immer nicht vollständig ausgerüstet. Der Kommandeur setzte sich eiligst mit den bereits kampffähigen Einheiten, an die sämtliche brauchbaren Fahrzeuge abzugeben waren, in Richtung Invasionsfront in Marsch. Bolle blieb mit einem nicht fahrbereiten Beiwagenkrad und dem Befehl zurück, den nunmehr nichtmotorisierten Tross der Kompanie nachzuführen. "Wenn D-u das machst, sehe ich wenigstens die Klamotten wieder", schmierte ihm der Chef Honig ums Maul. In der Gegend wimmelte es plötzlich von Partisanen.

   Was war zu tun? Bolle machte es wie alle anderen in der gleichen Lage: er ließ im benachbarten Dorf Pferdefuhrwerke samt Zugtiere requirieren und die zweirädrigen Karren hoch mit Kisten und Kästen der Kleiderkammer, der Waffenkammer, der Schirrmeisterei und der Schreibstube beladen. Glücklicherweise hatten die Bauern Angst um ihre Tiere  und kamen mit. Es waren wuchtige bretonische Kaltblüter, Brauereipferden ähnlich, wahre Elefanten. Die konnten einem schon Angst einjagen.

   Marschiert wurde der Jagdbomber wegen nur nachts. Die Kolonne erinnerte stark an einen mittelalterlichen Landsknechtszug. Bolle ritt auf einem edlen Engländer an der Spitze, am Ende fuhr in einer vornehmen Kalesche der Spieß. Wenn der Morgen nahte, wurde Quartier im nächsten Dorf bezogen. Es ging nur langsam voran, bestenfalls 25 Kilometer in einer Nacht.  -

   Der Morgen graute, vom nächsten Etappenziel war schon der Kirchturm zu erkennen - da ratterte ein deutsches MG los. Bolles Engländer stieg steil auf und warf den schläfrigen Reitersmann aus dem Sattel kopfüber direkt in den Straßengraben, wo er halb betäubt liegen blieb. Die Elefanten scheuten, Karren kippten um, Franzosen schrieen, Deutsche fluchten, das Maschinengewehr hämmerte - es war ein heilloses Durcheinander.

Nach einer schier endlosen Zeit mischten sich Feuerstöße aus Maschinenpistolen in die MG-Garben, dann hörte diese verdammte Schießerei endlich auf. Der Spieß, dessen Kutsche beim Überfall noch hinter einer Kurve verborgen war, hatte die Leute von der Resistanze in der Flanke gepackt - alle vier waren tot.

   Auch viele Pferde lebten nicht mehr oder hatten sich zwischen den Deichseln so schwer verletzt, dass sie erschossen werden mussten. Die Franzosen weigerten sich geschlossen, auch nur einen Schritt weiterzugehen, was ihnen nicht zu verübeln war. Bolle ließ sie in Frieden ziehen. Sein Entschluss stand fest: Bei dem bisherigen Marschtempo kam er nie in die Normandie. Fahrzeuge mussten her, so oder so.

   Er befand sich jetzt kurz vor Loudeac, das war der halbe Weg nach Rennes, Hauptstadt der Bretagne. Das inzwischen reparierte Beiwagenkrad brachte drei Mann mit dem Befehl in die Stadt, nicht ohne Lastwagen zurückzukommen. Sie rissen sich einen französischen Holzvergaser unter den Nagel sowie einen praktisch fabrikneuen Dreitonner des Heeres. "Der stand einsam und verlassen auf dem Marktplatz, der Schlüssel steckte", berichtete der neue Fahrer und schraubte die Nummernschilder ab. "Spritzt ihn noch ein bisschen um", befahl Bolle, "schließlich müssen wir quer durch das verdammte Nest. Die werden aufpassen."

Es ist kaum zu glauben, aber wahr: dieser Lkw wurde noch Tage später in ganz Nordfrankreich von der Feldgendarmerie gesucht. Kein Wunder - er hatte dem Stab eines Armeekorps gehört.

   In den Scheunen der näheren Umgebung fanden sich noch ein unter Stroh verstecktes flottes Kabriolett und vier weitere Holzvergaser, das genügte fürs erste. Vielleicht würde sich unterwegs noch Gelegenheit bieten, die langsamen Dinger durch anständige Fahrzeuge zu ersetzten.

   Mit seinem schnellen Hirsch fuhr Bolle voraus nach Rennes, um im Heeresverpflegungslager Marschverpflegung für 42 Mann zu bestellen. Es war Samstag Mittag. "Wann holen Sie das Zeug ab?" fragte der diensthabende Feldwebel.  -

"In schätzungsweise zwei Stunden, wenn nichts dazwischen kommt." -

"Das ist zu spät, wir schließen um zwei. Befehl vom Stabszahlmeister." -

"Das macht gar nichts. Wir haben Handgranaten, wir kommen schon an unsere Verpflegung. Grüßen sie Ihren Stabszahlmeister."

Als die Kolonne eintraf, bediente der persönlich.

"Fallschirmjäger", knurrte er. "Ihr denkt wohl, ihr könnt euch alles erlauben." -

"Wir denken gar nichts. Schon gar nicht wenn wir Hunger haben, Herr Stabszahlmeister. Am liebsten möchte ich Sie mitnehmen, damit Sie sehen, dass der Krieg am Samstag um 14 Uhr keine Pause macht."

Der Stabszahlmeister schwieg. Das war ein gefährlicher Verrückter, den er da vor sich hatte. "So wie der aussieht, bringt der das fertig", dachte er wohl.  -

   "Mensch, mit dir habe ich noch lange nicht gerechnet", strahlte der Chef, aus dem inzwischen ein Hauptmann geworden war. "Ich bin jetzt Abteilungsführer. Du kannst gleich unsere Kompanie übernehmen."

Der Major von der Flak, der es so eilig hatte, an die Front zu kommen, war bei der ersten Feindberührung gefallen.

   

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