Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

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Salerno

   Die Alliierten waren am 9. September mit starken Kräften bei Salerno unmittelbar südlich von Neapel gelandet und hatten einen Brückenkopf gebildet, der nun wieder eingedrückt werden sollte. Das war angesichts der im Golf von Neapel liegenden gewaltigen Armada und der Luftüberlegenheit des Gegners ein schier aussichtsloses Unterfangen.

   Die Fallschirmpanzerjägerabteilung war - ebenso wie die Pionier- und die Artillerieabteilung - eine Divisionstruppe, deren einzelne Kompanien je nach Bedarf den verschiedenen Regimentern zugeteilt wurden. So kam es, dass bei sogenannten "Feuerwehreinsätzen" dieser Regimenter, oder gar nur eines ihrer Bataillone,  die eine Panzerjägerkompanie in Russland fror, während die andere zur gleichen Zeit in Afrika schwitzte. In Eboli fand sich die gesamte Abteilung bis auf eine Kompanie  wieder vereint. Diese Kompanie war kurzfristig in die Abruzzen beordert worden und holte dort am 12. September zusammen mit einer anderen Fallschirmjägereinheiten den abgesetzten Mussolini vom Gran Sasso. Abteilungsführer war jener, inzwischen zum Hauptmann avancierte Oberleutnant, dem der frischgebackene Leutnant einst auf dem Truppenübungsplatz in Grafenwöhr die Anschaffung der Haftschalen zugesichert hatte.

   Der Angriff auf Battipaglia war für Bolle eine Spazierfahrt. Das Bataillon, dem er unterstellt war, hatte den größten Teil der Stadt beim Eintreffen der Panzerjäger bereits genommen, kam allerdings nicht über das Flüsschen hinaus, das sich durch den Ort schlängelte.

   Am Marktplatz angekommen, gab es wieder einmal Grund zum Staunen. Ein englischer Major ließ seine in Gefangenschaft geratene Kompanie wie auf dem Drillplatz antreten und die Gewehre zu Pyramiden zusammensetzten. Dann meldete er dem deutschen Bataillonskommandeur zackig Abmarschbereitschaft und zog mit seiner Truppe im Gleichschritt ab. Vorbildliche Disziplin, tolle Kerle diese Tommies. Wie später glaubhaft zu hören war, hat ein deutscher Stabsoffizier, der sich auf einer Erkundungsfahrt zur Front befand, schleunigst kehrtgemacht, als er die Engländer in Marschkolonne heranrücken sah, und mit der Tartarenmeldung "Feind im Anmarsch auf Eboli" bei den Stäben im Hinterland beträchtliche Verwirrung gestiftet.

Die allerdings nur achtköpfige Fallschirmjägereskorte hat er in der ersten Schrecksekunde wohl übersehen.

   Bolles Geschütze standen am südlichen Rand der Stadt, die sich unter einem Hagel von Bomben und schwersten Schiffsgeschützgranaten bald in ein  Ruinenfeld verwandelte. Auf Schritt und Tritt klafften gewaltig Trichter. Der Blindgänger, über den er fast gestolpert wäre, kam von einem Schlachtschiff und hatte Kaliber 42 - der dickste Brocken, den er bis dato gesehen hatte. Einmal stieß er bei seinen Streifzügen auf einen Platz mit einem langen, zickzackförmigen   Luftschutzbunker, in dem sich offensichtlich kein Mensch aufhielt.

Einerseits glaubte er schon, den idealen Gefechtsstand gefunden zu haben, andererseits, - das Ganze war zu schön, um wahr zu sein.

Die Sache musste einen Haken haben.

Bolle stieg die Treppen hinab. Hinter der zweiten Ecke schimmerte Licht; in der Betondecke klaffte ein Loch, und ihm zu Füßen lag eine 100-Kilo-Bombe. Er hielt den Atem an, machte - ganz, ganz langsam - ein langen Schritt über das Teufelsding und schlich auf Zehenspitzen davon. Über eine schräge Rampe am anderen Ende des Bunkers erreichte er das Freie und atmete tief durch. Er hatte es ja geahnt,  es gab einen Haken  - und an dem hing ein ziemlich dicker Fisch.

   Wenn in der Abenddämmerung die Mücken heransurrten, machten die Tiefflieger Feierabend. Dann konnte er sich neben der Kanalröhre in seinem vorgeschobenen Strassengraben-Gefechtsstand zurücklehnen und auf das allabendliche prächtige Feuerwerk warten. Kümmerliche vier oder fünf leichte deutsche Bomber versuchten nach Einbruch der Dunkelheit mit schöner Regelmäßigkeit, die majestätisch vor sich hin dümpelnde Riesenflotte im Golf zu versenken. Klugerweise warfen die Flugzeugbesatzungen ihre Bomben irgendwo ins Meer und drehten ab, bevor sie in die Kegel der unzähligen Scheinwerfer gerieten. Die vereinigte Schiffsflak Englands und Amerikas feuerte aus allen Rohren, zahllose Leuchtspurgeschosse zogen am Nachthimmel ihre Bahn, einige zerplatzten mit lautem Knall. Es war eine Farce, die vor allem der Unterhaltung der Truppen beider Seiten diente - Fronttheater vom Feinsten.

   Mit der Sonne tauchten auch die Jagdbomber wieder am Horizont auf und machten zunächst speziell den Kaffeeholern das Leben schwer. Sie lösten sich laufend ab und schossen den ganzen lieben langen Tag auf alles, was sich bewegte. Die Schiffsartillerie hatte über Nacht nur gekleckert, jetzt klotzte sie wieder. Panzer waren offenbar noch nicht an Land gesetzt worden, jedenfalls war weit und breit keiner zu sehen.

   Neben dem Luftschutzbunker mit der Bombe hatten die Engländer, die noch immer ihr Stadtviertel hielten, in der Eile einen leichten Granatwerfer mit einem Stapel Munition zurückgelassen. Bolle richtete das Rohr und schickte ihnen ihre vergessenen Granaten im Steilflug - pflop, pflop, pflop - per Luftpost nach. Vor Angriffen aus der Luft war er in unmittelbarer Nähe dieses Viertels sozusagen "bombensicher", nicht aber vor der englischen Infanterie, deren Spezialisten das Granatwerferspielchen viel besser beherrschten, als der Panzerjäger. Sie hatten seinen Standort bald ausgemacht und trommelten mit drei oder vier Granatwerfern wie die Wilden. Bolle nahm die Beine in die Hand und gab schleunigst Fersengeld.

So dringend wie hier, war noch nie ein Ortswechsel geboten.

 

   

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