Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

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Rückzug aus Süditalien

   Vom Anblick überwältigt stand Bolle mit offenem Mund in der Tür des Straßenwärterhäuschens an der Kreuzung oberhalb der Großstadt und staunte Bauklötze. Über ihm dröhnten Hunderte von Bombern, und unten in der weiten Ebene stapfte eine Armee heran. Er putzte sich die Brille, er glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. So musste es auf den Schlachtfeldern des großen Friederichs oder Napoleons ausgesehen haben. Tausende von Amis spazierten da unbekümmert in breiter, tief gestaffelter Front über Wiesen und Felder, ganz wie Jäger auf einer Treibjagd, und niemand machte auch nur den geringsten Versuch sie aufzuhalten.

Das konnte nur bedeuten, dass Süditalien von den Deutschen kampflos geräumt wurde.  Die Vermutung wurde zur Gewissheit, als der Befehl bei der Kompanie eintraf, im Eilmarsch auf das zwar ungefähr auf dem gleichen Breitengrad liegende, aber mehr als 100 Kilometer entfernte Eboli an der Küste  des Thyrrenischen Meeres zurückzugehen.

   Bolles Zug bildete zur Abwechslung mal die Vorhut. Aber was gab es da schon zu hüten, man fuhr ja durch Freundesland. An den Hängen eines breiten Tales kampierte friedlich ein Regiment italienischer Waffenbrüder.

Quer über die Straße stand ein Laster. Darum herum wimmelte es von Soldaten und Offizieren.

Der italienische Oberleutnant, der Bolles Geländewagen anhielt und ihn höflich zum Aussteigen aufforderte, war offensichtlich an der Ostfront gewesen, denn er trug das EK I. Bolle stieg arglos aus und dachte bei sich: "Was soll der Quatsch? Warum macht der sich so wichtig? Die sollen lieber die Karre zur Seite schieben." Da wurde er auch schon von allen Seiten eingekeilt, irgend jemand nahm ihm mit der Fingerfertigkeit eines  Taschendiebes die Pistole vom Koppel.

Geistesgegenwärtig richtete Bolles Fahrer seine Maschinenpistole auf die Gruppe, und der Zugtruppführer auf dem Rücksitz  lud ein MG-42 durch.

Die Lage war brenzlig.

   In der Ferne rasselten Ketten. Das erste Geschütz kam in Sicht. Bolles Fahrer schoss in die Luft. Sein Kamerad auf der anrollenden Zugmaschine riss das Gespann auf der Stelle herum, die Mannschaft sprang blitzschnell ab und brachte die Kanone in Stellung. Es klappte wie auf dem Exerzierplatz unter den Augen des Kommandeurs. Die italienischen Soldaten an den Hängen sahen der Treiben tatenlos zu.

Als das zweite Geschütz auf dem Schauplatz erschien, zuckte der Oberleutnant die Schultern und gab Bolle die Waffe zurück. "Es tut mir leid", sagte er in recht gutem Deutsch. "Ich handele nur auf Befehl. Marschall Badoglio hat Waffenstillstand mit den Alliierten geschlossen. Ich war in Russland. Die Deutschen waren gute Kameraden. Es ist eine Schande."

   Der Krad-Melder hatte den Chef benachrichtigt. Die Kompanie wurde in Gefechtsbereitschaft versetzt und durchquerte den Bereitstellungsraum einer ganzen italienischen  Division ohne weitere Feindseligkeiten.

   

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